Mittwoch, 28. November 2012

Kid Kopphausen - I

(Trocadero, 2012)



„Bin ich eigentlich ein schlechter Mensch?“, eine Frage, die sich sicher jeder von uns mal – und zwar zurecht – gestellt hat. Letztens schoss sie mir wieder durch den Kopf. Und zwar als ich das Kid Kopphausen-Album „I“ bestellt habe. Grund für mein schlechtes Gewissen war die Tatsache, dass ich diesem Projekt der Songwriter Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch zunächst wenig Interesse schenkte. Die Single „Wer bin ich“ hatte mich nicht sonderlich beeindruckt und ich hatte das Gefühl, dass die beiden Sänger hier viel mehr auf die Rock'n'Roll-Schiene drängten, als mir das lieb war. Bis hierhin kein Problem: Die Musik hat mir nicht gefallen, ich habe mich nicht damit beschäftigt. Ende der Geschichte.
Naja, noch nicht ganz das Ende: Als im vergangenen Oktober Sänger Nils Koppruch plötzlich verstarb und das – sich in dem Moment kurz vor einer Tour befindliche – Projekt sein jähes Ende fand, wurde ich zwangsläufig nochmals mit der Musik konfrontiert und komischerweise sprang dieses Mal der Funke sofort über. Doch auch ein schlechtes Gewissen bemächtigte sich meiner: „Ist es nicht falsch oder zumindest fies, sich erst mit der Musik zu beschäftigen als (oder weil?) einer der Sänger gestorben ist?“, fragte ich mich. Aber ist es nicht so, dass Musik in erster Linie einer einfachen Interessensbefriedigung beim Konsumenten dient? Oder gilt dieses reguläre Güterverständnis hier nicht? Die Ausgangsfrage deutet zwar einen Unterschied schon an, aber vielleicht sollte man an dieser Stelle zuerst die Musik berücksichtigen, bevor man zu einem Fazit kommen kann.
Die erste – und bereits erwähnte Single „Wer bin ich“ eröffnet das Album. Der Sound lässt direkt eine Rock-Band erahnen: E-Gitarre, Bass und Schlagzeug legen einen ruppigen Teppich aus, auf die sich Gisberts Stimme legt und gewohnt verquere und clevere Zeilen ausbreitet. Zum Refrain steigert sich der klangliche Umfang mit einer weiteren Gitarre und der Stimme von Nils, der Gisbert unisono unterstützt. Die zweite Strophe wird dann von kleineren Klavier- und Gitarren-Effekten noch aufgepeppt und so steigert sich das Lied nach und nach immer weiter, die Stimmen der beiden Sänger werden sehr clever kombiniert und abgewechselt. Der zweite Titel ist dann eine eher ruhige Nummer, die von Country und Blues beeinflusst ist und spannt damit das Feld auf, in dem sich Album in seiner Gänze bewegt.
Aber überhaupt Country und Blues(-Rock): Auf der gesamten LP finden sich diese Einflüsse zuhauf und selbst wenn man sich damit eigentlich schwer tut, kann man doch hier – der sympathischen Art der Darbietung sei dank – schnell andocken, sich zurücklehnen und genießen.
Der stärkste Song auf dem Album ist wohl die zweite Single „Das Leichteste der Welt“. Auch hier funktioniert die Verquickung von Blues-Rock, Country und Songwriter-Gitarren hervorragend. Der Text ist von der Art, dass man lächeln muss ob der sympathischen und bescheidenen Selbstdarstellung und dankbar sein muss für die schönen Kleinigkeiten, auf die der Song aufmerksam macht. Außerdem gibt es in diesem Song einen Break, der seinen Namen so sehr verdient hat, wie wohl noch keiner zuvor.

Insgesamt erfinden Kid Kopphausen das Rad natürlich nicht neu auf diesem Album. Aber das wollen sie auch nicht: Gemütlich schaukeln sie in ihrer Hollywood-Schaukel, erzählen Geschichten, jammen mit Freunden, fliehen jederzeit vor der großen erdrückenden Verantwortung und stehen doch voll hinter dem, was sie tun.
Bei der Betrachtung dieses Albums (und dieses Projekts an sich) überkommt mich die Trauer, mich nicht rechtzeitig mit dieser Musik beschäftigt zu haben und die Gelegenheit, auf eines ihrer Konzerte zu gehen, verpasst zu haben.
Und nein: Ich finde, dass Musik nicht nur ein Konsum-Gut ist, dass ich von seinem Erzeuger einfach trennen kann. Gerade bei Musik, die so viel erzählt wie diese, spielt die Persönlichkeit des Künstlers (beziehungsweise der Kunstfigur, aber die Debatte soll jetzt nicht losgetreten werden) eine große Rolle und ist ein unersetzlicher Teil selbiger. Und ob man ein schlechter Mensch ist, kann man sich wohl niemals selbst beantworten, aber man kann immer versuchen, ein bisschen besser zu werden. Und man kann Musik die Zeit geben, die sie verdient. (Sören Reimer)

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